>>Seltsames Geschöpfe aus der Tierwelt<<
Dass es sich hier um ein außergewöhnliches Buch handelt, lässt schon das Motiv auf dem Cover erahnen. Ein sonderbares Wesen mit riesigen Augen starrt uns erschrocken an – und doch handelt sich hier um kein Alien oder Fantasie-Wesen, sondern um einen waschechten Koboldmaki, gemalt von Erna Pinner.
Auch wenn die Autorin und Künstlerin das Buch Curious Creatures bereits 1951 bei Jonathan Cape in England herausbringen konnte, hat das Werk mit den blumig-detaillierten Texten und Erklärungen und den 150, wunderbaren Illustrationen von erstaunlichsten Geschöpfen aus Tier- und Pflanzenwelt bis heute kein bisschen an Reiz verloren.

Falltürenspinnen, die aufpassen müssen, sich nicht selbst aus ihrer Höhle auszuschließen, den sagen- und mythenumwobenen Axolotl, fliegende Vierfüßer, eierlegende Säugetiere, Wasserlebewesen, die Sauerstoff atmen können und viele andere Merkwürdigkeiten, die sich, meist unbemerkt, die Erde mit uns teilen.
Leichtfüßig und höchst unterhaltsam plaudert Erna Pinner über zoologisches Wissen, wie wir es aus einer Tierdokumentation im Fernsehen kennen – allerdings lange vor einer solchen TV-Produktion.
Die Sprache scheint zuweilen wie aus der Zeit gefallen. Neben exakten, wissenschaftlichen Erklärungen, wie wir sie auch heute noch aus Bio-Sachbüchern und Vorträge gewohnt sind, kommt es immer wieder zu Bemerkungen, die aufhorchen lassen, da wir sie in einem Fachbuch nicht vermuten würden:
„Letzten Endes müssen wir uns damit abfinden, daß es keinen absoluten Maßstab für die Beurteilung des Abstoßenden und Grotesken gibt. Nichtsdestoweniger wirken einige Tiere in ihrer Erscheinung so abenteuerlich, daß es berechtigt sein mag, ein paar Exemplare in einer „Parade“ an uns vorbeiziehen zu lassen.“
(Erna Pinner in Curious Creatures auf Seite 253)

Aber nicht nur der ungezwungene und unterhaltsame Erzählstil ist bemerkenswert bei Curious Creatures. Besonders ihre Zeichnungen sind es, die Pinners Werk zu etwas ganz Besonderem macht. Sie schafft eine Balance zwischen Natur und Kunst. „Anatomische Genauigkeit mischt die Künstlerin mit einem System aus Schraffuren und Punkten, das einzigartig ist.“
Auch wenn uns heute viele Anekdoten bereits durch die unzähligen Tierdokumentationen bekannt sein dürften und auch der eine oder andere Fakt bereits überholt und wissenschaftlich korrigiert ist: Mit Curious Creatures hat sich Erna Pinner als Vorreiterin des modernen Nature Writing einen Namen gemacht und versetzt ihre Leserschaft auch heute noch auf elegante Art in Staunen.

Über Erna Pinner
Bereits in den 20er Jahren war Erna Pinner (1890 – 1987) als Zeichnerin, Illustratorin und Autorin bekannt. Auf Ihren Reisen entdeckte sie gemeinsam mit dem Schriftsteller Kasimir Edschmid Europa, Palästina, Syrien, den Libanon, Südamerika, Südost- und Südwestafrika.
1931 erschien ihr Buch: „Ich reise durch die Welt“. 1935 musste sie, als Jüdin, aus ihrer Heimatstadt Frankfurt vor den Nationalsozialisten nach London emigrieren, wo sie nach und nach Fuß fasste.
1951 erschien dann ihr erstes eigenes Buch Curious Creatures, das auf Englisch verfasst und mit ihren eigenen Illustrationen bestückt war. Vier Jahre später, 1955, erschien das Werk dann schließlich auch in Deutschland unter dem Titel „Wunder der Wirklichkeit“ im Verlag eines Freundes Paul Zsolnay.
Über Barbara Weidle
Sie kuratierte 1997 die erste Einzelausstellung über Erna Pinner in Bonn. 2004 und 2005 folgten die Erna Pinner-Ausstellungen in Frankfurt und Leipzig. 2021 erschien ihr Aufsatz „Im Stromgebiet der Zoologie: Erna Pinner Neuanfang im englischen Exil“ im Jahrbuch für Exilforschung 2021, Band 39.
Details zum Band
Erna Pinner
Curious Creatures | Seltsame Geschöpfe der Tierwelt
mit 150 Illustrationen der Autorin
Weidle Verlag
Anmerkung:
Das Jüdischer Museum Frankfurt zeigt vom 24.11. bis zum 17.04.2022 die Ausstellung „Zurück ins Licht. Vier Künstlerinnen – Ihre Werke. Ihre Wege.“