Ausstellung läuft noch bis zum 20. Mai 2024
Alles verändert sich, wenn in Bildwelten am Größenregler gedreht wird: Dinge werden hervorgehoben, aus dem Zusammenhang gerissen, überhöht und umgedeutet. Sie rücken nah heran, werden studierbar, oder verschwimmen vor den Augen. Eine immense schöpferische Kraft, aber auch die Möglichkeit der
Manipulation liegt in der Skalierung von Bildgegenständen und Bildformaten.
Erstmals beleuchtet eine Ausstellung umfassend den erheblichen und oft unterschwelligen Bedeutungswandel, der mit Größenverschiebungen in der Fotografie einhergeht. Werke vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart werfen Fragen nach den Konsequenzen von Größe für die Wahrnehmung und den Umgang mit fotografischen Bildern auf.

Von allen Medien vermag die Fotografie am einfachsten ihren Umfang zu ändern, kann leichtfüßig zum Großbild auf Museumswänden und Plakatträgern anwachsen aber auch zum Thumbnail auf dem Handyscreen schrumpfen. Sie schafft traditionell Miniaturen der Welt, kann die Dinge aber ebenso lebens- und überlebensgroß zeigen und Unsichtbares sichtbar machen.
Während Maler*innen die Abmessungen der Leinwand festlegen, bevor sie den Pinsel ansetzen, ist die Fotografie im Moment ihrer Entstehung, wenn der Auslöser der Kamera gedrückt wird, ein Medium ohne feste Größe. Erst im Nachhinein entscheidet sich, ob ein Bild sich materialisieren wird und wenn ja, in welchen Dimensionen“, erläutert Felix Krämer, Generaldirektor Kunstpalast. „Größe als flüchtige Eigenschaft ist ein entscheidendes Alleinstellungsmerkmal der Fotografie, das wir mit dieser
Felix Krämer, Generaldirektor Kunstpalast
Ausstellung unterstreichen wollen.“
Fotografie ist skalierbar – für Plakate, Bücher oder Handyscreens
Seit der Erfindung und Durchsetzung des Projektionsabzuges in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wie auch unter Bedingungen des Digitalen ist die Fotografie – im Rahmen sich wandelnder technischer Bedingungen, von industriell fertigbaren Papiermaßen bis Speicherkapazitäten – frei skalierbar.
Die Anpassung an veränderte Maßstäbe bei vermeintlich unverändertem Inhalt sorgt dafür, dass Größe in der Wahrnehmung fotografischer Bilder oft latent bleibt. Ob ein Motiv für den Plakatträger, die Museumswand, die Buchseite oder den Handyscreen skaliert wurde – oft erscheint es den Betrachtenden als das immer gleiche Bild.
Seit den Avantgarden der 1920er-Jahre und bis in die Gegenwart fordern Künstler*innen die Latenz der Größe in der Fotografie heraus. Sie befreien durch Skalierung Genres wie die Sachfotografie oder das Porträt von allen Funktionen, lösen in Stillleben Dinge aus ihren Kontexten und laden sie mit alternativen Bedeutungen auf. Sie bringen in Close-ups Details zur Geltung und eröffnen völlig neue Sichtweisen. Als künstlerisches Werkzeug und ästhetisches Prinzip entfaltet die fotografische Skalierung eine ganz eigene Kraft.

„Größenverschiebungen formatieren sowohl die Wahrnehmung als auch den Gebrauch und die Wirkweise fotografischer Bilder entscheidend. Sie prägen ihren Adressat*innenkreis, den Betrachtungskontext, die Auflösung, die Handhabung, den monetären, kulturellen und sozialen Wert – ihre Bedeutung“, so Linda Conze, Leiterin der Fotosammlung des Kunstpalastes und Kuratorin der Ausstellung. „Unbewusst knüpfen sich an die Größe fotografischer Bilder vielfältige Erwartungen: Groß ist wichtig. Zumindest im Museumsraum. Auf der Straße und im Jugendzimmer kann groß ebenso flüchtig und profan heißen. Eine hohe Auflösung suggeriert hohe Qualität. Zugleich kann sich das niedriger aufgelöste Bild mit Vorstellungen von Authentizität verbinden.“
Die Ausstellung fächert das Thema der fotografischen Größenverhältnisse entlang von Gegensätzen auf: Historischen wie gegenwärtigen Versuchen, Größenverhältnisse im Bild zu kontrollieren, treten absichtsvolle Verwirrspiele mit dem Maßstab gegenüber.
„Poor Image“ versus Big Data
Formate der Bildrezeption im öffentlichen Raum werden mit solchen der intimen Betrachtung kontrastiert. Skalierung im Dienste der Funktion wird von Skalierung als ästhetischem Werkzeug unterschieden, durch die ein Dokument zum Kunstwerk werden kann. Vergrößerungen als Mittel der wissenschaftlichen Erkenntnis werden Vergrößerungen gegenübergestellt, die so weit gehen, dass Gegenstände vor den Augen verschwimmen. Und einzelne kleine JPGs treten neben unüberschaubare Bildmassen, das sogenannte „Poor Image“ neben Big Data.

Das Großfoto vermag in der Galerie Exklusivität und einen hohen Marktwert zu versinnbildlichen. Im öffentlichen Raum überwindet es Distanzen und beeinflusst Konsumentscheidungen wie auch politische Meinungen. Das kleine Bild befördert die Erinnerung, konnte historisch als Miniatur-Daguerreotypie oder winziger kolorierter Albuminabzug in Medaillons und Broschen nah am Herzen getragen werden, wurde in Alben eingeklebt und wird heute als Thumbnail in der Photo Library des Smartphones in der Hosentasche mit sich geführt. Ob als Abzug oder komprimierter Datensatz ist das kleine Bild sammel- und speicherbar. Es lässt sich leicht versenden, als JPEG oder Postkarte.
Gleichzeitigkeit von Wirklichkeitsversprechen und dimensionaler Beweglichkeit
Doch ab wann ist ein fotografisches Bild überhaupt groß, wann ist es klein? Größe entsteht nur im Verhältnis. Zwischen Bildern und den Körpern derer, die sie betrachten, zwischen Bildern und anderen Bildern, die einander im Auge der Betrachtenden übertrumpfen oder nebeneinander untergehen können. Zwischen Abmessung und Information, wodurch im technischen Bildmedium Schärfe und Unschärfe entsteht und nicht zuletzt zwischen Bildern und der Wirklichkeit. Denn an der Wirklichkeit wird die Fotografie nach wie vor hartnäckig gemessen. Ob in Skepsis oder Zutrauen ist die Realität feste Bezugsgröße in der Rezeption fotografischer Bilder. Ihrem historischen Ruf zum Trotz, die Wirklichkeit abbilden zu können, wie sie ist, verkleinert die Fotografie die Dinge in der Regel massiv.

Sie erschafft Miniaturen und bastelt am Maßstab der Welt herum, wie Susan Sontag in ihrem wegweisenden Essay On Photography (1977) geschrieben hat. In Ausformungen wie dem Fotogramm oder dem Röntgenbild, und auf die Menge aller fotografischen Bilder gerechnet äußerst selten, zeigt sie die Dinge in Echtgröße. Und bisweilen vergrößert sie ihre Gegenstände auch, macht sichtbar, was mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen ist, wenn sie sich zum Beispiel mit optischen Geräten wie Mikroskopen
oder Teleskopen verbindet. Dann mischt die Fotografie in der Wissensproduktion mit, suggeriert die Enthüllung von Fakten – um sich im nächsten Moment in Richtung der Fiktionen zu lehnen und Vergrößerungen ins Unkenntliche oder die reine Behauptung kippen zu lassen. Es ist die Gleichzeitigkeit von Wirklichkeitsversprechen und dimensionaler Beweglichkeit, die der Fotografie Wirksamkeit in kulturellen, politischen und sozialen Kontexten verleiht. In der Skalierbarkeit liegt ihr Potenzial, sich für
vielfältige gesellschaftliche Kontexte anschlussfähig zu halten und darin Geltung zu entfalten.
Ausgangspunkt der Ausstellung ist die Sammlung des Kunstpalastes, nationale und internationale Leihgaben ergänzen die Werkauswahl. Künstler*innen : Bernd und Hilla Becher, Kristleifur Björnsson, Karl Blossfeldt, Georg Böttger, Katt Both, Renata Bracksieck, Natalie Czech, Jan Dibbets, Josef Maria Eder und
Eduard Valenta, Leonard Elfert, Claudia Fährenkemper, Hanna Josing, Alex Grein, Andreas Gursky, Franz Hanfstaengl, Erik Kessels, Heinrich Koch, Jochen Lempert, Rosa Menkman, Duane Michals, Joanna Nencek, Floris M. Neusüss, Georg Pahl, Trevor Paglen, W. Paulcker, Sigmar Polke, Seth Price, Timm Rautert, Amanda Ross-Ho, Evan Roth, Thomas Ruff, August Sander, Adrian Sauer, Morgaine Schäfer, Hugo Schmölz, Karl-Hugo Schmölz, Katharina Sieverding, Kathrin Sonntag, Lucia Sotnikova, Simon
Starling, Clare Strand, Carl Strüwe, Andrzej Steinbach, Julius Stinde, Anna Stüdeli, Wolfgang Tillmans, Patrick Tosani, Moritz Wegwerth, René Zuber.

Zur Ausstellung erscheint im Distanz Verlag eine Publikation Size Matters: Größe in der Fotografie mit Texten von Linda Conze, Tomáš Dvořák, Florian Ebner, Ellen Haak, Lilian Haberer, Vera Knippschild, Olivier Lugon, Vera Tollmann, Bettina Papenburg, Kathrin Schönegg, Anja Schürmann und Steffen Siegel.
Ausstellungskatalog:
Size Matters: Größe in der Fotografie
DISTANZ Verlag;
1. Edition (3. Februar 2024) Sprache :
Deutsch Gebundene
Ausgabe : 116 Seiten
Adresse
Kunstpalast
Ehrenhof 4-5
40479 Düsseldorf
Förderer der Ausstellung
