MUSEUM MMK | FÜR MODERNE KUNST | Ausstellung bis Sonntag, 1. Januar 2023
Getragen von Faszination wie Verachtung fertigt Stéphane Mandelbaum (1961–1986) in einer kurzen Schaffenszeit von nur zehn Jahren Hunderte Porträts von Arthur Rimbaud, Pier Paolo Pasolini, Francis Bacon, Pierre Goldman, seinem Großvater Szulim und Vater Arié Mandelbaum, aber auch von nationalsozialistischen Verbrechern wie Joseph Goebbels oder Ernst Röhm an. Mit Kugelschreiber, Ölfarbe, Blei- oder Buntstift, klein und vereinzelt oder überlebensgroß, mit Kritzeleien, Texten auf Französisch, Jiddisch, Italienisch oder Deutsch und collagierten Zeitungsausschnitten nähert sich Mandelbaum in zahlreichen Porträts den Charakteren an. Seine jüdische Herkunft, Belgiens Kolonialgeschichte, aber auch das Nachtleben und die Unterwelt Brüssels durchdringen immer tiefer sein Werk und bestimmen sein Leben. Stets getrieben von den Fragen: Woher komme ich und was kann ich sein?
Die Retrospektive Stéphane Mandelbaum ist die dritte Ausstellung posthum.
Eine Geschichte der Gewalt im Europa nach
dem Holocaust, unvollendet
von Diedrich Diederichsen
Mehr als die Hälfte von den heute sichtbaren Arbeiten Stéphane Mandelbaums sind Porträts und in fast allen, auch solchen, die anders aufgebaut sind, anderen künstlerischen Genres folgen, gibt es ein collagierte, integrierte Porträts.
Zwischen 1975 und 1986, also den Jahren, in denen er aktiv war, gab es wenige Künstler*innen, die einen so starken Glauben an das Porträt als Repräsentation und Darstellung einer konkreten Person hatten. Andere Formate und Medien hatten die Aufgabe übernommen, unverwechselbare Spuren von Personen zu registrieren und zu speichern. Aber selbst in der (künstlerischen) Fotografie der Epoche
erscheint zwischen Cindy Sherman und Thomas Ruff das Porträt als ein der individuell künstlerischen Verfügung sich entziehendes Moment von Kulturindustrie und Überwachungsstaat: Stereotype, Stars und Fahndungsfotos.
Und selbst als die ebenfalls in der ersten Hälfte der 1980er wenig relevanten, von Mandelbaum räferierten Medien und Techniken der Zeichnung – Tusche, Bleistift, Kohle – etwa in den nicht mehr nur für Schallplattencovern, sondern für den Kunstmarkt gearbeiteten Zeichnungen von Raymond Pettibon oder den Hotelzeichnungen von Martin Kippenberger in den späten 80ern und frühen 90ern zeitgleich mit einem Comeback des Underground-Comic und der Karikatur weltweit ein Revival erlebten, trauten
sich wenige an das Porträt als Realreferenz – es blieb eine Form der Wiederaneignung kulturindustriell entwendeter Stereotype, Pastiche etc. –; man scheute also gewissermaßen die visuelle Verwendung von Eigen- und Klarnamen.
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Dieses Booklet erscheint anlässlich der Ausstellung Stéphane Mandelbaum
Weitere Informationen zur Ausstellung
TOWER MMK | Bis 30. Oktober 2022
ÖFFNUNGSZEITEN
Di–So: 11–18 Uhr
Mi: 11–19 Uhr